Der IT-Projektmanager: die neue Eier legende Wollmilchsau?

Das IT-Projektmanagement erfährt seit einiger Zeit starke Veränderungen – zumindest kommt es einem so vor, wenn man aktuelle Foren und Stellenmärkte zum Thema besucht. Während einige Autoren bereits künstliche Intelligenz als das nächstes disruptives Werkzeug im Projektmanagement postulieren, werden an anderer Stelle noch explizit Kompetenzen zum V-Modell abgefragt, als handelte es sich hierbei um ein Spezialgebiet des Projektmanagement. Agil, Lean und Kanban erscheinen dagegen als State-of-the-Art-Methode für erfolgreiche Projekte. Selbst Senior-Projektmanagement-Mandate werden sehr häufig mit must-have-Fachkompetenzen zum Sachgebiet und nice-to-have-Projektmanagement-Kompetenzen ausgeschrieben. Hier scheint es eine große Unsicherheit zu geben, welche Rolle für den Projekterfolg wichtiger ist, die des Projektleiters oder die des Fachexperten und ob an dieser Stelle tatsächlich beide Rollen benötigt werden. Die Antwort ist relativ einfach: natürlich sind beide Rollen essenziell, allerdings findet man die Qualifikation für beide Rollen nur sehr selten in ein und derselben Person.

Der Artikel befasst sich mit der Frage, wann benötigt ein Projekt einen dedizierten Projektleiter und wie sollte dieser kompetenzseitig ausgestattet sein: eher als Generalist und Stratege oder als Spezialist und Lead-Consultant?

Oder anders ausgedrückt, benötigt ein Projekt separate Projektleiter und einen Systemspezialisten oder kann das nicht auch eine Person leisten? Diese Frage lässt sich erwartungsgemäß nicht pauschal beantworten, denn Projekte sind gekennzeichnet durch die Einmaligkeit ihrer Anforderungen und Rahmenbedingungen – kurz: jedes Projekt ist anders. Es hängt grundsätzlich erst einmal von der Größe und der Komplexität des Projektes ab.

In den meisten Fällen – insbesondere, aber nicht nur in IT-Projekten – empfehle ich die personelle Trennung von Projektleitung und den führenden Systemspezialisten (Solution Architects, Lead Consultants), denn beide Rollen erfordern andere Methodenkompetenzen und auch etwas unterschiedliche Charaktere. Während der sich Systemspezialist sehr detailliert um das Wie der Lösung kümmert (technisch und prozessual orientiert), steuert der Projektleiter eher das Wer und das Warum (Strategie, Organisation, Führung, Stakeholder, Rahmenbedingungen, Politik usw.).

Die Trennung dieser beiden Rollen ist in einfachen kleinen Projekten oft nicht so kritisch, da hier die Aufgaben meist nur gering differenziert sind und wenige technische, organisatorische und persönliche Schnittstellen aus dem Projekt heraus bedient werden müssen. Wenn aber die Aufgaben komplexer werden und die Anzahl der internen und externen Schnittstellen und Stakeholder zunimmt, sollten die Rollen unbedingt getrennt werden. Ein dedizierter, professioneller Projektleiter verfügt über einen anderen spezialisierten Werkzeugkoffer als der Systemspezialist: während der Systemspezialist über eine hohe „systemtechnische“ Lösungskompetenz verfügt, kümmert sich der Projektleiter um Teamführung, interne und externe Kommunikation und Beziehungen, Risiken, Kosten und Termine. Die Anforderungen an beide Rollen sollten sich in den jeweiligen Stellenbeschreibungen wiederfinden, d.h. der Projektleiter muss sein Handwerk, ein Projekt zum Erfolg zu führen, verstehen, aber er muss dazu nicht der Systemexperte sein. Natürlich muss er den Projektkontext verstehen und vielleicht kann er sogar entsprechende Erfahrungen vorweisen, aber die Anforderung zum Beispiel mehrere Programmiersprachen zu beherrschen, um Code-Reviews durchführen zu können oder Systemhardware selbstständig installieren zu können ist für einen Projektleiter nicht angemessen und sinnvoll.

Ab welcher Größe und Komplexität eine strikte Rollentrennung vorgesehen werden sollte, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Ich empfehle, immer erst einmal von einer Rollentrennung auszugehen und nur in Ausnahmefällen beide Rollen mit der gleichen Person zu besetzen. Gerade in kleineren Projekten wird oft die Hürde gesehen, dass mehrere hochqualifizierte und in der Regel teure Spezialisten im Projekt beauftragt werden müssen. Dies ist aber eigentlich gar kein Problem, denn nur durch eine Rollentrennung wird der Aufwand ja nicht mehr oder weniger. Vollzeit-Engagements einzelner Teammitglieder sind gerade in kleineren Projekten selten erforderlich und auch nicht gerade zeitgemäß. Die Akquisition und Beauftragung mehrerer Spezialisten (intern oder extern macht hier keinen Unterschied) – einschließlich des „Projektmanagement-Spezialisten“ – bedeutet zu Beginn zwar etwas mehr Aufwand, führt aber am Ende unterm Strich zu schnelleren und besseren Ergebnissen.

Zwei weitere wichtiger Punkte sollten an dieser Stelle nicht ungenannt bleiben:

  • ein Projektleiter, der gleichzeitig auch Fach-Experte des Themas ist, verliert sich leicht in technischen Details und vernachlässigt damit schnell andere wichtige Aufgaben. Gerade in strategischen oder organisatorisch-politischen Projekten besteht dann das Risiko, dass das Projekt in Schwierigkeiten gerät, obwohl die (funktionale) Lösung sich sehr gut entwickelt.
  • Der generalistische und strategische Projektleiter kann natürlich besser in unterschiedlichen Projekten eingesetzt werden, als der spezialisierte; gerade kleinere Projekte erfordern geringere Kapazitäten von der Projektleitung, sodass ein guter Projektleiter durchaus auch 2-3 kleinere Projekte parallel leiten kann.

Projektmanagement wird gerne als Zusatzqualifikation gesehen und in kleinen und einfachen Projekten oder Teilprojekten ist dies, wie bereits erläutert, teilweise auch akzeptabel. Projektmanagement ist aber tatsächlich eine anspruchsvolle Führungsaufgabe, die viel Erfahrung und Kompetenz in der Anwendung entsprechender Werkzeuge und Methoden erfordert. Sie beinhaltet neben der Führung des Projektteams unter anderem die Planung und Steuerung der Projektinhalte, Termine & Finanzen, Stakeholdermanagement, Risikomanagement, interne & externe Projektkommunikation, das Berichtswesen, das Vertragsmanagement, Kompetenzmanagement & Wissenstransfer, Qualitätsmanagement, Compliance-Management, Anforderungsmanagement und Änderungsmanagement. Dieses Aufgabenportfolio muss er häufig unter einer hohen Komplexität und Dynamik umsetzen. Dies ist keine Rolle, die man eben mal mit erledigt – wenn das Projekt erfolgreich werden soll.

Komplexität und Dynamik sind kritische unternehmerische Rahmenbedingungen für viele Branchen. Ihre Ursachen sind vielfältig, z.B. intensivierter Wettbewerb durch Globalisierung, neue disruptive Geschäftsmodelle, neue Arbeitsmodelle, rechtliche Auflagen, aber vor allem technologische Innovationen und gesteigerte Kundenerwartungen. Unternehmen müssen hierauf frühzeitig und wirkungsvoll reagieren, ansonsten droht das wirtschaftliche Abseits.

In einem solchen Marktumfeld ist das Projektmanagement eine der wichtigsten Kernkompetenzen im Unternehmen. Neue, z.B. agile Organisationsstrukturen definieren neue Rollen und einige dieser neuen Ansätze läuten bereits das Ende der klassischen Projekte ein. Dennoch, die Kompetenzen, Methoden und Werkzeuge des Projektmanagements werden immer wichtiger, auch wenn sich die Bezeichnungen einiger Rollen ändern.

Unternehmen müssen das Thema Projektmanagement, falls nicht bereits geschehen, zügig mit entsprechenden Kapazitäten und -Kompetenzen im Unternehmen etablieren und auch konsequent weiterentwickeln. Idealerweise geschieht dies über eine Querschnittsfunktion im Unternehmen, z.B. ein PMO (Project Management Office) als Shared Service Center. Dieses PMO sollte neben internen Ressourcen auch ein Netzwerk an externen Spezialisten aufbauen und pflegen, denn viele Fachkompetenzen werden zwar häufig, aber trotzdem teilweise nur kurzzeitig benötigt.

Die eingangs gestellte Frage, wann und ob ein Projekt einen dedizierten Projektleiter benötigt und wie dieser kompetenzseitig ausgestattet sein sollte, konnte hiermit hoffentlich beantwortet werden.

Dynamik bedeutet Veränderung, der man professionell begegnen muss – die Frage ist hierbei in den meisten Fällen nicht ob, sondern wann und wie.

Dynamik bedeutet aber auch Neues, Unerwartetes und teilweise Unbekanntes. Sich hierauf wirkungsvoll vorzubereiten ist auf der fachlichen Seite natürlich sehr schwierig. Aber ein Unternehmen kann sich strukturell aufzunehmende Dynamik und Veränderungen vorbereiten, z.B. über die Etablierung der generischen Fachkompetenz Projektmanagement. Diese trägt ganz erheblich zur organisatorischen Resilienz bei.

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