„Das ist ein schönes Angebot, Herr Meyer. Ihre Joghurtabfüllmaschine ist wirklich der Hit. Allerdings bräuchte ich nach der Inbetriebnahme noch etwas zusätzlichen Support durch Ihre Leute. Ich denke, das dürfte kein Problem sein, oder?“
Herr Meyer ist hin- und hergerissen: Der Kunde will kaufen. Das mit dem zusätzlichen Support allerdings …
„Das müsste ich vorher in der Geschäftsführung klären, Herr Müller. Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich mich übermorgen wieder bei Ihnen melde?“
Über die Stirn von Herrn Müller kräuselt sich ein Fragezeichen: „Klar, Herr Meyer. Klären Sie das und melden Sie sich wieder!“
Die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Müller bei Herrn Meyer kauft und nicht bei der Konkurrenz ist gerade drastisch gesunken.
Zu weit weg vom Kunden
Wenn Sie Ihr Unternehmen mit einer klassischen Pyramide als Hierarchiestruktur organisieren, haben Sie ein großes Problem: Alle Entscheidungen werden sehr weit weg vom Kunden getroffen. Zu Kunden ein persönliches Vertrauensverhältnis aufzubauen, auf Kundenwünsche flexibel zu reagieren und einzugehen ist auf diese Weise schier unmöglich.
In kleinen Betrieben mit 20 bis 30 Angestellten funktioniert diese Top-Down-Führung sehr gut. Da macht es Sinn, dass der Inhaber alle wichtigen Entscheidungen trifft. Meist ist er es auch, der die Kundenkontakte persönlich pflegt.
Aber dann passiert, was Sie sich als Unternehmer eigentlich wünschen: Ihr Unternehmen ist erfolgreich und wächst. Plötzlich sind es 100, 500, 1.000 oder sogar 10.000 Mitarbeiter. Die Führungsstruktur aber bleibt dieselbe. Sie vervielfacht sich nur: Es entstehen Bereiche mit Bereichsleitern, Abteilungen mit Abteilungsleitern. Und alle sind Top-down organisiert. Es entstehen so genannte Silos. Die machen, jeder für sich, einen super Job. Aber sie kommunizieren zu wenig miteinander. Es findet nicht genug Austausch zwischen den Fachabteilungen statt, und wenn, dann nur auf Chefebene. Und plötzlich ist aus Ihrem flexiblen Kleinbetrieb ein Riesenozeandampfer geworden, dessen Kurs Sie nur sehr, sehr schwer ändern können.
Zu scheu, um Kompetenz abzugeben
Diesen Ozeandampfer können Sie nur wieder flott und flink machen, wenn Sie die Entscheidungs- und Führungskompetenzen dort, wo es um das operative Geschäft geht, insbesondere um Verkauf, Lieferung und Support, in die Ablauforganisation verlegen. Herr Meyer muss entscheiden können, ob Herr Müller seinen zusätzlichen Support bekommt oder nicht.
Andere Bereiche oder Dimensionen des Unternehmens werden ebenfalls eigenverantwortlich und auf ihre Aufgabe optimiert organisiert. So zeichnet etwa das Produktmanagement verantwortlich für die einzelnen Produkte und Produktlinien und ein Projektmanagement kümmert sich um alle erforderlichen Veränderungen im Unternehmen.
Dadurch erreichen Sie, dass alle Bereiche fokussiert, schnell und effektiv arbeiten.
Die rechtliche und disziplinarische Führung kann dabei durchaus weiter in einer hierarchischen Struktur verbleiben.
In großen Unternehmen sind solche prozessorientierten Organisationen längst gang und gäbe. Aber im Mittelstand sehe ich immer wieder, dass die Unternehmen sich schwer damit tun. Warum?
Viele Chefs scheuen sich einfach, Kompetenz abzugeben. Das verstehe ich, gerade dann, wenn Sie selbst das Unternehmen gegründet und dahin geführt haben, wo es jetzt steht. Aber mir fällt dazu auch immer das Zitat von Steve Jobs ein: „Warum kaufen wir die kompetentesten Leute ein, wenn wir ihnen dann sagen, was sie zu tun haben?“ Gut bezahlten Mitarbeitern keine Entscheidungskompetenz zu geben, das ist, als würde ich meine schöne Harley auf 30 km/h herunterdrosseln.
Bei vielen ist es auch die Angst vor Kontrollverlust und Misstrauen. Sie denken: Wenn ein Mitarbeiter Entscheidungen trifft, dann geht es nicht um sein Geld, sondern um meins. Wird er wirklich verantwortungsvoll damit umgehen?
Zu ängstlich, um Verantwortung zu übernehmen
Die vielleicht schlimmste Folge einer reinen Top-down-Führung aber ist: Wenn Sie als Unternehmensführer dann doch irgendwann jemand brauchen, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, dann kann es gut sein, dass Sie in Ihrem Unternehmen niemand finden werden. Wenn Sie nur Fach- aber keine Entscheidungskompetenzen fördern, dann entwickelt sich eben auch keine Entscheidungskompetenz.
Ich habe das selbst erlebt in einem sehr hierarchisch strukturierten Unternehmen. Dort wurde ohne Freigabe vom Chef keine Entscheidung getroffen. Als dort für ein Projekt ein Prozessverantwortlicher gesucht wurde, der bereit war, Verantwortung zu übernehmen, haben sie keinen gefunden. Alle waren ganz schnell verschwunden. Eine heiße Kartoffel anfassen ohne Freigabe vom Chef? Das hatten sie in diesem Unternehmen nicht gelernt.
Aber wie wollen Sie Ihren schönen Unternehmensdampfer auf Kurs halten – oder besser: auf einen neuen Kurs bringen –, wenn Sie in Ihrer Crew eine Kultur der Unflexibilität schaffen, in der sich niemand etwas zu tun traut, ohne vorher den Kapitän zu fragen?
Wenn Sie auf den volatilen Märkten bestehen wollen, wenn Sie flink, elegant und wirkungsvoll auf Veränderungen reagieren wollen, dann brauchen Sie vernetzte Strukturen, dann brauchen Sie eine ablauforientierte Organisation mit Produkt-, Prozess- und Projektverantwortlichen, die fallorientiert intensiv zusammenarbeiten und wichtige Entscheidungen fällen können und wollen. Nur so machen Sie Ihr Unternehmen projektfähig.
Ihr
Michael G. Schmidt