„Ok Leute, wir haben da einen Riesenfisch an der Angel: Es geht um einen Staudamm. Wird ein Riesending. Irgendwo in der chinesischen Provinz. Haben wir alles, um das zu stemmen? Na ja, es ist nicht unser erster Staudamm. Wir haben die Leute, wir haben die Kompetenz, oder? Vor allen Dingen sind wir in der Organisation so aufgestellt, dass wir das hinkriegen.“
Kopfnicken und Begeisterung rundum. Das wird ein tolles Projekt. Da sind sich alle einig.
„Achso, eine kleine Sache noch: Spricht jemand von euch Mandarin? Verhandlungsfähig? Nicht?“
Ich gebe zu, dieses Beispiel ist etwas überspitzt. Kaum jemand führt eine Reifegradprüfung für ein einzelnes Kundenprojekt durch. Aber es zeigt Ihnen, dass bei einer solchen Prüfung auch scheinbar kleine Details entscheidend sein können.
Bauen Sie Ihr Haus vom Keller zum Dach – nicht umgekehrt!
Um herauszufinden, ob Ihr Unternehmen projektfähig ist, müssen Sie strukturiert und analytisch vorgehen. Sie brauchen eine Reifegradprüfung, mit der Sie den Status Ihrer Projektfähigkeit feststellen können – und zwar Schritt für Schritt. Von unten nach oben. Wenn Sie ein Haus bauen wollen, schauen Sie ja auch nicht zuerst, ob Sie einen Zimmermann haben, der den Dachstuhl aufschlagen kann. Sie fangen unten an: Haben Sie einen Bagger und einen Baggerfahrer, der die Baugrube aushebt? Haben Sie jemand, der den Keller hochmauert? Wer kümmert sich um die Statik der Hausmauern? Und so weiter bis hin zu der Frage: Haben wir einen Dachdecker?
Bei einem Hausbau lässt sich das noch sehr leicht nachvollziehen. Hier ist es vergleichsweise leicht, den Gesamtplan auf die Einzelteile herunterzubrechen. Aber bei der Entwicklung einer neuen Software zum Beispiel, die mit anderen, schon existierenden Softwarelösungen verknüpft werden muss, wird es allerdings schon hochkomplex. Und wenn es darum geht, ein Unternehmen für ein strategisches Ziel richtig aufzustellen, es flink und agil zu machen, wird es noch einmal anspruchsvoller. Da reicht es nicht zu sagen: „Wir führen jetzt die Scrum-Methode ein und bilden lauter schöne agile Teams. Dann läuft alles wie von selbst!“
Nein, tut es eben nicht. Und das ist der Grund, warum Sie vor jedem tiefgreifenden Changeprojekt eine eingehende Reifegradanalyse machen sollten.
Welchen Reifegrad Ihr Unternehmen für ein Projekt hat, das bestimmt das schwächste Glied. Die Staudammbauer aus meinem Beispiel oben würden sich da ganz unten wiederfinden. Obwohl sie wirklich alles können, was es zum Bau eines Staudamms braucht – außer eben, wie sich herausstellt, Chinesisch, um mit den Leuten vor Ort zu kommunizieren.
Eine Reifegradanalyse dient vor allen Dingen zwei Zwecken.
Erstens: Sie finden damit heraus, welche Kompetenzen, welche Ressourcen, welche Strukturen, welche Human Ressources Sie brauchen, um das Ziel, das Sie sich gesetzt haben, zu erreichen.
Zweitens: Eine Reifegradanalyse hilft Ihnen, Schritt für Schritt vorzugehen, Ihr „Haus“ von unten nach oben zu bauen – und nicht umgekehrt.
Finden Sie Ihre Lücken!
Ob Ihr Unternehmen projektfähig ist, lässt sich selten einfach mit Ja oder Nein beantworten. Um darüber Klarheit zu bekommen, müssen Sie Ihre Gesamtkompetenz auf Teilkompetenzen herunterbrechen. Dazu müssen Sie zuallererst natürlich wissen, wohin Sie wollen? Was glauben Sie, was auf Sie zukommt mit Ihrem Projekt? Wo sehen Sie Ihre Schwachstellen? Welche Kompetenzen sind vorhanden? Wo gibt es noch Lücken? Es gilt, diese Gaps zu finden und sie Schritt für Schritt zu schließen.
Ein solches Gap kann zum Beispiel das Mindset der Chefetage sein – und ist es auch oft. Wenn zum Beispiel die Supersoftwarearchitektin und High Performerin Frau Schneider in ein agiles Team integriert ist, dann wird sie ausschließlich vom Projektleiter dieses Teams geführt. Dann kann nicht der CEO sie einfach woanders einsetzen, wo er ihre Kompetenz gut brauchen könnte. Er muss den Projektleiter fragen, der in der Hierarchieebene einige Stufen unter ihm steht. Für viele Führungskräfte in der höheren Managementebene ist das schwer zu verstehen. Sie können nicht akzeptieren, dass in einem agil organisierten Unternehmen ihrer Weisungsbefugnis Grenzen gesetzt sind – und werden so zu einem Riesen-Gap in der Reifegradanalyse.
Werden Sie reif für Ihre Zukunft!
Reifegradmodelle sind ein wichtiges und probates Hilfsmittel, um ein Unternehmen im Transformationsprozess zu steuern und auf den richtigen Weg zu bringen. Damit ein Unternehmen projektfähig ist, braucht es einen angemessenen Reifegrad. Und der Weg dahin kann durchaus ein langer sein. Darauf müssen Sie sich als bisher erfolgreicher Unternehmer gefasst machen. Wenn ich zum Beispiel sagen muss: „Euer Reifegrad ist für euer Ziel noch nicht ausreichend“, dann fühlt mancher CEO sich provoziert – aber es ist unumgänglich, um eine Weiterentwicklung des Unternehmens anzustoßen.
Sie werden übrigens ganz unterschiedliche Reifegradmodelle auf dem Markt vorfinden. Jedes davon hat sein Für und Wider. Deshalb verwende ich in meinen Reifegradanalysen nicht ein bestimmtes Modell, sondern passe das Geeignetste jeweils individuell auf das jeweilige Unternehmen an.
Ihr
Michael G. Schmidt