„Guten Morgen Chef, hast du einen Moment?“ Die Führungskraft, seit 15 Jahren im Unternehmen, einer der besten Leute, holt eine umfangreiche Tabelle hervor und breitet sie auf dem Tisch des Chefs aus. „Du hattest mich doch gebeten, die Implementierung des neuen ERP-Systems zu organisieren. Wir haben uns jetzt mal angeschaut, welche Features die Software bietet, welche wir davon brauchen und welche nicht, haben alles auf die Bedürfnisse der verschiedenen Abteilungen angepasst. Schaust du es dir mal an und sagst, ob das so für uns funktioniert? Haben wir aus deiner Sicht alle Features, die wir brauchen?“
Der Chef blickt seinen Mitarbeiter ein bisschen überrascht an: „Warum fragst du mich das? Genau diese Aufgabe habe ich doch an dich delegiert, dass du mir sagst, wie die Software konfiguriert werden muss, dass sie auf unsere Anforderungen passt.“
Warum Mitarbeiter zurückdelegieren
Der Chef erlebt hier einen klassischen Fall von Rückdelegation: Der Mitarbeiter gibt die entscheidenden Fragen und die Verantwortung für eine Aufgabe wieder zurück an den Chef. Und genau das ist ja nicht der Sinn des Delegierens. Tatsächlich aber ist das eine Situation, über die ich Unternehmer und hohe Führungskräfte immer wieder klagen höre: „Meine Leute übernehmen einfach keine Verantwortung. Sie kommen mit jeder Detailfrage zu mir. Am Ende muss ich mich doch immer um alles selbst kümmern. Aber wozu delegiere ich, wenn ich die Aufgabe am Ende dann doch wieder selbst erledigen muss? Ich finde, ich verbringe auf diese Weise viel zu viel Zeit mit dem operativen Geschäft.“
Die Antwort, die sich viele Führungskräfte in einem solchen Fall selbst geben, lautet oft: „Meine Leute können das nicht. Ich habe nicht die richtigen Mitarbeiter.“ Das ist natürlich aus deren Sicht die einfachste Erklärung, hinter die ich aus meiner Erfahrung heraus aber einige Fragezeichen setzen möchte. Wieso also kommt es zu diesen Situationen? Warum delegieren die Mitarbeiter an den Chef zurück?
Delegieren heißt Ziele geben
Der Mitarbeiter in meinem Beispiel fragt seinen Chef, ob die Software, so wie er sie implementieren möchte, für das Unternehmen funktioniert. Er würde das nicht fragen, wenn er es wüsste. Also: Warum weiß er nicht, was das ERP-System dem Unternehmen bringen soll?
Wenn Sie erfolgreich delegieren wollen, so delegieren, dass Ihre Mitarbeiter ihre Aufgabe auch wirklich bis zum Ende ausführen, dann müssen Sie klar definieren, was der Mitarbeiter erreichen soll. Was das Ziel ist. ‚Alles soll schneller und besser funktionieren‘ ist dabei vielleicht ein nachvollziehbarer Wunsch, aber ganz sicher keine smarte – und das heißt spezifische, mess- und ausführbare, realistische und terminierte – Zielvorgabe. Sie müssen schon genauer definieren, was Sie sich von der Software erwarten, welche Informationen sie Ihnen liefern soll, welche Prozesse damit in welcher Weise vereinfacht werden sollen, was genau Sie damit erreichen wollen. Das heißt nicht, dass Sie Ihren Mitarbeitern schon von vornherein den Weg zeigen, wie sie ans Ziel kommen. Aber Sie müssen das Ziel und die Strategie dahinter klar definieren. Ihre Mitarbeiter müssen wissen, was Sie wollen. Ansonsten laufen sie los, wissen aber nicht, wohin. Und stehen stattdessen selbstverständlich am Ende wieder vor Ihrer Tür.
Haben Sie keine Angst, zu delegieren!
Ihren Mitarbeitern zu sagen, wohin die Reise gehen soll, hat auch sehr viel mit Transparenz zu tun. Ihre Mitarbeiter müssen sich über die Unternehmensziele und -strategie im Klaren sein. Diese Klarheit zu geben verstehen viele Führungskräfte aber immer noch als ein Preisgeben von Machtwissen. Sie fürchten damit Führungskompetenz zu verlieren. Und viele möchten diese eben nicht so gern abgeben. Oder anders gesagt: Sie möchten gar nicht so gerne wirklich Verantwortung delegieren – und tun es dann auch nicht wirklich. Was dann wieder dazu führt, dass die Mitarbeiter auch nicht wirklich Verantwortung übernehmen.
Und an dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz: Wer sich darüber beklagt, ‚nicht die richtigen Leute zu haben‘, hat oft selbst verhindert, dass er sie bekommt. Wenn Sie Verantwortung nicht abgeben, können Ihre Mitarbeiter keine Verantwortung übernehmen.
Das zu ändern geht aber nicht von heute auf morgen. Geben Sie Ihren Mitarbeitern Zeit, in verantwortliches Handeln hineinzuwachsen. Lassen Sie sie Fehler machen. Aus denen lernt nicht nur der Mitarbeiter, sondern auch das Unternehmen. Entwickeln Sie selbst die Mitarbeiter, die Sie brauchen!
Und Sie benötigen eine Organisationsstruktur, die Mitarbeiter empowert und in die Lage versetzt, Entscheidungen eigenständig und eigenverantwortlich zu treffen. Es braucht eine prozessorientierte Organisationsstruktur, die abteilungs- und fachübergreifend ist. Die nicht in Silos aufgeteilt ist, die in sich abgeschlossen und nach außen abgeschottet sind. Dann entwickeln Ihre Mitarbeiter ein abteilungsübergreifendes Denken. Dann denken sie mit und entscheiden mit.
Ihr
Michael G. Schmidt
PS: Mehr darüber, wie Sie Ihr Unternehmen flink und krisenfest machen, erfahren Sie in meinem Buch: https://amzn.to/3RcXfL8